Ich kann es kaum glauben, dass ich das Bild 'Tore‘ schon Ende Oktober 2023 begonnen habe. Es startete als ein sehr helles und leichtes Bild, inspiriert von einer Zeichnung aus meinem Skizzenbuch.
Ich erinnere mich noch, wie David ins Zimmer kam und so etwas wie „Das wird aber ein fröhliches Bild!“ sagte. Heute weiß ich, dass ich zu jener Zeit, aus einem inneren Sog heraus, ein weiteres Mal einem bestimmten „Thema“ die Tür geöffnet hatte, welches mein Innerstes noch tief und umfassend durchwühlen sollte.
Als ich Anfang 2024 während meiner Arbeit an dem Bild erkannte, dass es einen anderen Weg als den Leichten und Fröhlichen einschlagen wollte, war ich schon ziemlich tief mit eben diesem Thema befasst. Fünf Jahre zuvor, war ich diesem angstvoll und aus völlig nachvollziehbaren Gründen ausgewichen.
Ich hatte plötzlich das Verlangen, sehr dunkle Bereiche in meinem Bild einfügen zu wollen: ein Nachtblau und tiefe Schatten. Ich fühlte, dass ich etwas vereinen wollte, komplettieren, ganz machen und integrieren. Indem ich das fast schwarze Blau im Hintergrund malte, fühlte ich mich aufgeregt und erleichtert zugleich. Ich kam der Wahrheit in mir näher, während ich meinen malerischen Impulsen folgte. Und auch wenn David über die Entwicklung des Bildes überrascht und vielleicht auch ein bisschen „enttäuscht“ war, war mir jegliche äußere Erwartungshaltung völlig gleich. Ich verhalf dem Bild dazu, das zu werden, was es werden wollte, und nur das war von Bedeutung.
'Tore‘ ist das 4. Bild der Serie ‚In die Utopie hinein leben‘ und es ist innerhalb der Serie das Bild, bei dem es anfängt, richtig ernst zu werden. Das erste Bild, 'Das Wort Surrender‘, war ein Aufgeben im besten Sinne. Dann kam 'Etwas in mir schaut auf das Meer und auf alles andere auch', mit welchem ich erahnte, was es für ein Zustand sein könnte, auf den ich mich zubewegen wollte. Danach habe ich 'Wurzeln‘ gemalt und mich dabei mit dem Zumirkommen, Stabilisieren und Erden beschäftigt. Und dann kam ‚Tore‘, und Tore hat mich umgehauen.
Was meine Bilder zeigen, lebe ich entweder zeitgleich oder kurz nach Ihnen mit. Sie sind mir oft etwas voraus und lassen mich schon erahnen, worauf ich mich im Begriff bin, zu zubewegen.
Stell Dir vor, da ist etwas in Deinem Leben, das sich, egal wie sehr Du es drehst und wendest, an welchem Standpunkt auch immer Du Deine Vorstellungskraft platzierst, sich nicht begreifen und vor allem nicht „wegmachen“ lässt. Dieses „Etwas“ hat gleichzeitig das Potenzial, Dein gesamtes Leben in den Grundpfeilern zu erschüttern, und es ist nicht vorauszusehen, ob die Struktur, die Dein Leben im Moment hält und die Du liebst und bewahren willst, die Auseinandersetzung mit dem Thema, geschweige denn die Integration des Themas, überlebt.
Es hat sich angefühlt, wie im Feuer zu stehen, und hat mich ebenso an das unglaubliche Brennen bei der Geburt meiner Kinder erinnert. An den Moment, wenn der Kopf austritt. Ein kurzer, sich völlig unglaublich anfühlender Augenblick, der nicht zu vergehen scheint und in welchem ich mich gefragt habe, ob ich dieses Dehnen noch eine Millisekunde länger ertragen kann.
Es gibt Situationen im Leben, die sind wie Initiationen, sind wie Tore, durch die Du gehst, und in denen klar ist, dass Du anders auf der anderen Seite herauskommen wirst, als Du hineingegangen bist.
Bei mir gab es zwei Tore. Ich durfte mich entscheiden. Es gab einen Weg, der ein guter Weg gewesen wäre, außer der schwerwiegenden Tatsache, dass ich mir dafür hätte eine kleine, kostbare, imaginäre Schatulle anfertigen müssen, um darin für alle Zeiten in mir aufzubewahren, was ich nicht für möglich hielt, leben zu können. Ein Fremdkörper, der sich abkapselt – gegenwärtig aber nicht integriert. Ein Weg, bei dem ich mich fragte, wie ich meine Entscheidung für ihn später in den Momenten vor meinem Tod einschätzen würde.
Und es gab einen zweiten Weg, auf welchem ich meine Integrität bewahren konnte, der mich aber in tiefe Abgründe der Verlustangst geworfen hat. Nichts war mehr sicher, der Konflikt omnipräsent. Ich musste die Erfahrung machen, dass meine Worte nicht genug oder nicht die richtigen waren, dass ich Mühe hatte, mich verständlich zu machen. Verhaltensweisen und Muster traten an die Oberfläche, die ich für lang überwunden hielt, und ich erkannte irgendwann, dass der Ausgang der ganzen Sache nicht ausschließlich in meiner Hand liegt.
Ich bin hier in diesem Leben in diese Welt gekommen, um mich zu befreien. Es ist mein Lebensthema, mich immer und immer wieder aus eingebildeten oder realen Zwängen hinaus zu begeben. Ich tue das mit meinen besten Absichten und aus einem unschuldigen Wissen heraus, dass ich frei bin. Doch ich komme, um meiner Authentizität willen, nicht umhin, Menschen zu enttäuschen und zu verletzen. Wahrscheinlich kann kein Mensch dem ausweichen, wenn er nach seinem natürlichen Ausdruck strebt. Aber wenn dann mein Gegenüber sich in Gedanken mit Ängsten und Horrorszenarien der Zukunft quält, stehe ich hilflos da, erschüttert und mit einem Bein bereits dabei, umzukehren von diesem schwierigen Weg, der vielleicht doch zu viel von allen verlangt.
Das Bild 'Tore‘ ist auf eine stille Art sehr intensiv. Es macht spürbar, dass hier in eben diesem Moment eine Entscheidung gefallen ist, wie ein Schwert. Es ist dabei so leuchtend und warm, dass trotz der Dringlichkeit eine Gewissheit auftaucht, dass der eingeschlagene Weg der Richtige ist.
Auf diesem Weg bin ich gegangen mit einem Gefühl, als ob eine andere Kraft, mit ebenfalls den besten Absichten, mein Herz weitet und dehnt. Es war eine Weile schmerzhaft und wunderschön zugleich. Ich bin gegangen mit der Frage, ob das denn möglich ist, ob ich mir erlauben darf zu fühlen, was sich für mich wahr anfühlt. Es gab unzählige Einladungen für meine Ängstlichkeit, einfach umzudrehen, und es gab immer wieder meine Stimme, die davon sprach, was mir wichtig ist und was ich mir wünsche. Die in dem Wissen aussprach, damit Schmerzen bei geliebten Menschen zu verursachen. Auf diesem Weg lerne ich mich kennen, wie ich mich nicht für möglich gehalten habe. Als ob ich plötzlich die Fähigkeit hätte, Gegensätze in einem Raum beieinander zu halten. Trotzdem ich mir mehr als einmal gewünscht habe, nicht diese Unausweichlichkeit zu empfinden, die mich diesen Weg hat wählen lassen, fühle ich mich jetzt vollständiger, freier und mehr bei mir als je zuvor.