'Das Wort Surrender'- ein Erfahrungsbericht

(Lesezeit 6 min)

Ich will! Ich werde! Ich muss! Wie kann ich? Ich muss noch dies, ich muss noch das. Ich sitze Stunden, Tage und viele Nächte vorm Computer. Erledige unendlich erscheinende Aufgaben. Berechne, bearbeite, organisiere. Ich mache Fehler, korrigiere sie. Zeit rinnt. Monate vergehen. Ich hinke meinem Zeitplan gehörig hinterher. Und ich kann es einfach überhaupt nicht ändern. Verzweiflung kommt hoch, Unzufriedenheit über mein Tempo. Ich vergleiche mich. Befürchtungen machen sich breit, ob ich das jemals alles schaffen und verstehen werde. Nur noch dies, dann hab ich es geschafft. Und kaum bin ich da, taucht die nächste Hürde, das nächste „Das noch“ auf. Es hört nie auf. Und während dessen, fühle ich diese Sehnsucht in mir, zu mir zu finden. Ich sehne mich nach meinen Farben und Pinseln, danach, einfach Striche auf Papier ziehen zu können. Schon bei dem Gedanken daran gehen so viele Türen in mir auf. Sie alle führen nach Hause.

Aber, jetzt ist Disziplin gefragt, und die habe ich! Die habe ich so sehr, dass ich aus dem ganzen Tun nicht mehr heraus komme. Dauerstress, ist mir zur Gewohnheit geworden. David macht mich mehr als einmal darauf aufmerksam, aber ich denke, ich kann da jetzt nicht raus. Ich muss das jetzt einfach reißen. Irgendwann hatte ich plötzlich den Gedanken, an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ich immer wieder weitere Gründe finde, um in dieser Hast zu bleiben. Auf einmal, höre ich Berichte über plötzlich mit Gehirnblutungen im Krankenhaus liegende Menschen mit anderen Ohren. Ich kann nachvollziehen, wie es dazu kommen kann. Wenn ich keinen Weg finde, da auszusteigen, denkt es in mir, ende ich genau so. Auch, wenn es sich die ganze Zeit auf verschiedene Arten und Weisen um das handelt, was ich liebe, meine Kunst, fühle ich, wie auch das zum Hamsterrad werden kann. Ist es nur eine Phase? Ich kann die Frage mit meinem Verstand nicht beantworten. Mein Bauch sagt: „Nein“ Es gibt lichtere Tage, aber der Kurs führt immer wieder in Zustände, in denen ich mich frage, wie ich dahin geraten konnte.

Ich bin durch, sowas von durch. Äußerlich funktioniere ich noch erstaunlich gut, aber innerlich bin ich unglaublich erschöpft.

In diesem Zustand befand ich mich vor ein paar Wochen schon einmal und er war die Eintrittskarte zu meinem Bild 'Das Wort Surrender'.
Ich liebe das Wort 'Surrender'. Für mich hört es sich weich werdend und warm rollend an. Wenn ich es höre, fühle ich Gutmütigkeit. Es klingt, wie eine Hand, die mir liebevoll über den Kopf streicht.

Als ich mein Bild 'Das Wort Surrender' begann und merkte, dass es sich aus dem Gefühl der Überforderung heraus entwickelte, hatte ich sofort Widerstände dagegen. DAS wollte ich nicht malen! Ich wollte erhebende Bilder malen! Ich fürchtete, ein Bild zu malen, das in meinem Atelier bleiben würde, weil ich es keinem zumuten will. Doch es gab keinen Umweg. Ich war gespannt, was das Bild mir erzählen würde. Ich hoffte auf Antworten zu meiner aktuellen Situation.

 



Und dann, verliebte ich mich in die ersten ahnenden Pinselstriche dieser Figur. Dieses Gesicht und sein Ausdruck erinnerten mich an die Gesichter von Menschen, in denen man gelebtes Leben sehen kann. Die ersten Falten, die von Erfahrungen und Überzeugungen erzählen, werden langsam für jeden sichtbar. Das Innere kehrt sich mehr und mehr nach Außen und lässt sich nicht mehr verbergen.
Ich sah, wie diese Frau in ihrer Ermüdung einfach da war. Sie war offensichtlich zu einem Zustand gelangt, in dem sie nicht mehr versuchte zu kämpfen. Sie hatte sich ergeben, vermutlich nach langen Versuchen, genau das nicht zu tun. Die Zeit stand still. Aus diesem Innehalten entstand, und nur dadurch, worauf sie eventuell nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.
'To Surrender', das ist für mich das, was aus dem Mut entsteht zu kapitulieren.

Ich hatte noch nie eine Nahtoderfahrung, aber ich stelle mir vor, dass der Augenblick, in dem man realisiert, dass man jetzt sterben wird, sehr gut illustriert, was ich unter 'Surrender' verstehe. Das totale Zusichkommen, als ob sich die gesamte Welt zu einem Stecknadelkopf zusammenzieht. Vollkommene Stille. Und gleichzeitig wird paradoxerweise plötzlich alles weit und leicht.

Ich bin eine Kämpferin, und ich vergesse zuweilen für längere Zeit, dass man auch auf andere Art siegen kann, als durch Kampf. Immer dann, wenn ich es mir erlaubt habe, mich einer Situation zu ergeben, haben sich in mir Puzzleteile an wichtigen Stellen meines inneren Universums zusammengesetzt. Es kann so schmerzhaft und schwer sein, zu akzeptieren, was man eigentlich nicht bereit ist, zu akzeptieren. Es erscheint mir oft wie die größte Hürde überhaupt. So groß ist der Wille und auch die Gewohnheit mich durchsetzten zu wollen, manchmal auch gegen mich selbst.

Szenenwechsel:

Ich befinde mich seit mittlerweile anderthalb Wochen auf einem Roadtrip mit David und unserem Jüngsten. Wir haben uns diese Auszeit tatsächlich hart erarbeitet. Fast ein Jahr hat die Arbeit an unserem Wohnmobil, wegen eines massiven Wasserschadens und diverser anderen notwendiger Reparaturen, in Anspruch genommen. Manchmal, wenn ich mich auf dieser schimmligen Baustelle befunden habe, wusste ich nicht, ob wir es schaffen werden, unsere 'Moana' wieder fahrbereit zu machen. Die letzten Monate hat David den Großteil der Arbeit übernommen, während ich, wie ich es oben beschrieben habe, an meiner neuen Webseite gebaut habe. Eine Zerreißprobe für uns, denn sowohl Wohnmobil als auch Webseite präsentierten sich mit immer neuen Problemen, die gelöst werden mussten, wollten wir irgendwann losfahren können und wollte ich irgendwann eine sinnvolle Basis für meine Selbständigkeit haben. Zusammengefasst: viel Arbeit, kaum Zeit für Muse und uns.

Für diese Reise, die 4 Wochen dauern soll, habe ich mehrere Wünsche:

Ich wünsche mir, mich von dem Kampffeld von Sollen und Müssen zu entwöhnen. Ich wünsche mir zu fühlen wie mein Körper und mein Geist entkrampfen. Ich möchte fühlen, wie sich mein Inneres zusammensetzt. Ich wünsche mir Zeit zu integrieren und, dass mein Vertrauen wieder an die Oberfläche steigt. Ich wünsche mir Zeit da zu sein, zu fühlen und meine Bereitschaft wirklich zuzuhören. 

Auf unserem Weg durch die Alpen, habe ich festgestellt, dass ich eine Menge Ängste in mir trage. Meine Höhenangst hat mich bergauf, bergab, in Panik versetzt. Bei den Überlegungen, ob wir die Fähre nach Sardinien oder Sizilien buchen, taucht meine Angst vor tiefem Wasser auf, und wir wählen die kürzere Route. So richtig wohl, merke ich, fühle ich mich eigentlich nur auf relativ flachem, festen Grund. Mein Nervensystem ist ziemlich oft in Alarmbereitschaft. Das ist krass!
Ich habe so viel Zeit mit dem Tun notwendiger Dinge gefüllt, dass ich verlernt habe, Dinge geschehen zu lassen. Nicht, dass es nicht gut war, diese Dinge zu erledigen, aber es ist jetzt höchste Zeit für eine Kurskorrektur.

Diese Reise schafft den Raum, in dem meine gewohnte Umgebung, die immer gleichen Handgriffe und Situationen NICHT zuschnappen können, wie eine Falle, die alles ins Unterbewusste schiebt, wofür jetzt gerade keine Zeit ist.
Ich bin dem ständigen Tun entrissen, keine Chance, über Marketingstrategien zu lernen, mein Coaching zu verfolgen, noch nicht einmal große Leinwände zu beginnen. Keine Chance zu hetzen, obwohl ich das zu Beginn noch versucht habe. Meine Aktivitäten sind sehr begrenzt, ebenso wie mein künstlerischer Output. Ich habe nur Papier und Stifte dabei und lasse einfach kommen. Manchmal habe ich Lust auf spontane, abstrakte Formen. Manchmal zeichne ich einen Baum. Es kommen auch Visionen für neue, große Bilder in mir an, aber langsam und zart.

 



Und heute lag ich am Strand und habe minutenlang den Wolken beim Morphen in immer neue Formen zugesehen. Als ich das bemerkte, wusste ich, jetzt wird es besser.

Diesen Blogartikel zu schreiben, ist mir ein Bedürfnis, denn das Schreiben hilft mir, den Prozess, in dem ich mich befinde, besser zu verstehen. Ich sitze am Pool, trinke den zweiten Cappuccino und sehe vor mir eine Menge Palmen. Surreal irgendwie. Ich bin so dankbar, hier sein zu können. Alles in mir genießt. Mit diesem Gefühl schicke ich Euch Grüße dorthin, wo auch immer ihr seid.

Auf bald! Claudia

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1 Kommentar

Beautiful realisation Claudia! We only see the beauty and the light once we have experienced darkness to compare it to x

amanda

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